Lucie Schenker

Empfangen vom Güldenen Buch

Empfangen vom Güldenen Buch
24. Dezember 2010
  • Herausgeber:in:
  • St.Galler Tagblatt

Empfangenv om GüldenenB uch
Seine Oberfläche ecz.eugt nicht
das wohlige Gefühl eines Hand•
schmeichlers. Und das viele Gold
ist auch nicht ein direkter Vetweis
auf die Heilige Nacht. Und doch
lassen sieb, liegt es auf den offenen
Handflächen, allerlei Bezüge
herstellen. Schwer wie es ist. Gül·
den wie es ist Kunstvolwl ie es ist.
Irritierend, wie es ist mit seinen
metallenen Ringlein. gewunden,
verschlungen und im eigenen
Hohlraum fast vibrierend, sein..,:.
bend unter naclcteo Fllssen wohl
das Gefühl vom Gehen ilber ein
sonnenvergoldetes Erntefeld er•
zeugen wiltde.
Wir denken uns etwas aus über
das Ankommen, wie an IM!iltnachten.
und wir lassen den Blick
hinUberwandern rum grossfnrmatigen
Gemälde des Künstlers
Patrick Rohner, eine eher schrundigeOberflächeauchdort,
gespiernrW"
TAH
gelt die auf Nagelßuh gebauten
Hügelquartiere im Wechselspiel
der Uchteinstrahlung. welche die
rauhe Obertläcbe derverschichteten
Malerei an gewissen Stellen
ebenfalls in einen goldenen Farbton
tauchen. Wir kehren zurUck,
berühren erneut, was da so gülden
vor uns liegt, streichen sacht
darüber, die Schlingen ein Ge•
Oecht von Weltnahme. die hier
von Hand zu Hand gereicht witd.
Es handelt sich um das Goldene
Buch der Stadt. wie es auch in
zahlreichen anderen Gemeinden
aufgelegt ,vird, auf dass sid1 Gäste
aus aller Welt mit ihren Namen,
ihrem 1-lerk:unftsort eintragen
kßnnen und auf der Dachterrasse
des Rathauses oft rum ersten Mat
den unvergleichlichen Ausblick
geniessen. Die Sicht auf die geschichtsreicbe
Innenstadt, auf
T!lrme und Kirchen, auf die langgestreekte
Talsohle, auf die HUgel
zu beiden Seiten - von n lrgends
sonst bietet sich-den eingeladenen
Delegationen, Gruppen, Vereinen
und Einzelpersonen aus der
ganzen Welt ein derart phantastischer
Ausblick. Am Schluss der
Besuche wiro den Gästen jenes
kunstvoll gestaltete Buch, gebunden
von Buchbinder Gebhatd Fischer,
vorgelegt, wo sie sich mit
ihren Namen und ihren Herkunftsorten
eintragen können.
Es handelt sich beider St. Galler
Ausgabe nicht um einen in Leder
gebundenen Folianten, wie es ur•
sprUnglich die Adelsverzeichnisse
italienischer Städte und Staaten
darstellten, woher der Begriff •Llbro
d'Oro» abgeleitet ist. Vielmehr
wutde dJe St. Gall er Kllnstlerin Lu·
cie Schenker mit der Gestaltung
des ersten Goldenen Buches betraut
im Vorhaben, im laufe der
Zelt mit'wechselnden Kunstschaffenden
eine Kunstbuchreihe entstehen
zu lassen. Mit diesem Ein•
bezug von St. Galler Kunstschaffenden
setzt der Stadtrat gewiss
ein sdiönes Zeichen der Wert•
schätzung sowohl den hiesigen
KUnstlerinnen und Künstlern ge•
genUber als auch den Gästen, die
so mit diesem ganz besonderen
Format eines •Kunst-Handschmeichlers
» in BerUhrungkommen.
Zu Beginn des Jahres 2009 war das
Buch I •in Betrieb• genommen
worden; nun, zwei Jahre später,
präsentlen es sich, umhilllt von
fülgranen Kupferdrähten auf einem
geschmeidigen Flies, bei•
nahe bis zur letzten Seite mit Einträgen
gefiillt Zu Gast waren -
unter zahlreichen anderen - der
islamische Dachverband: der Bischof,
die , alt Stadtpräsidenten
und alt Stadtschreiber (unter ihrem
Sammelnamen •Mafia»).
Eine Delegation der BUrgerlichen
Witwen- und Waisenkasse (gegründet
l732); die Familie Knie;
das Internationale Students Committee;
der Logistikerstab des ehemaligen
Geb AK (Gebirgsarmeekorps);
der antirassistische Quartierverein
Lachen; der Herr BotscbalterTshivula
Solomon aus der
Republik Südafrika; das Institut
für Anästhesiologie; eine Delegation
aus Aserbaidschan.
Auf dem (Rathaus-)Dach der
Welt erscheint die Vielfalt wie ein
Zeichen von Verständigung und
Toleranz-wie ein in Gold gefasstes
Symbol für Weihnachten.
BrigitteSchmid-Gugler